Dienstag, 1. August 2006
Schubs die Wahrheit raus
Geburtstage sind seit jeher eine Möglichkeit, sich mit anderen Menschen auszutauschen, auch mit denen, die man nicht so oft sieht.
Es fängt in der frühsten Kindheit an, wenn man auf seinem Kindergeburtstag die ersten Sozialkontakte herstellt, indem man dem Paule von nebenan auf den Boden schubst, um an seinen Lutscher zu kommen. Mit reiferem Alter dann, schubst man den Paule, um an seine Freundin Sarah zu kommen. Mit Glück hat man Sarah und man schubst Paule nur noch verbal, indem man ihm vorhält, welchen Managerposten man gerade bekommen hat. Und irgendwann redet man nur noch vom Schubsen, macht es die Osteoporose, die man bekommen hat, doch sehr schwer, es noch aktiv auszuführen. Mit etwas Pech hat man Paule überlebt und erzählt auf dem Sterbebett, was man durch Schubsen alles bekommen konnte, damals.

Manchmal sind Geburtstage aber auch Offenbarungen. Zwei Stunden habe ich gelächelt, gescherzt und jedes Wort meiner Tante verfolgt, um einen Punkt zu finden, an dem ich zum Thema "berufliche Zukunft des Neffen" überleiten konnte. Da das Hauptthema, die Irritation und Unmöglichkeit des Islam war, eine schier unlösbare Aufgabe.
Irgendwann brauchte ich die Überleitung nicht mehr. Meine Tante fragte mich, wie sie es öfters tat, wie es denn im Beruf ausschaue. Ich erklärte ihr, dass der Vertrag ausliefe und er höchstwahrscheinlich nicht verlängert werden würde, dass ich aber bereits eine Alternative erarbeitet hätte. Ich erzählte vom Studium, das ich beginnen werde und verklickerte im lockersten Ernst, den ich aufbieten konnte, einer erzkonservativen Beamtin a.D., dass ich, ihr Lieblingsneffe, freiwillig aus dem Öffentlichen Dienst ausscheiden würde.
Kopfschütteln, die erste Reaktion. Ob ich mir das gut überlegt hätte, die zweite Reaktion. Und dann die Feststellung des Tages, als dritte Reaktion: "Also, als Student kannst du dir einen Kater aber nicht mehr leisten."
Meine Argumente, dass der Öffentliche Dienst eine Sackgasse sei, dass ich mit Abschluss des Studiums eine viel breitere Möglichkeitenpalette hätte und dass es natürlich eine wohl durchdachte Entscheidung sei, alles irrelevant. Unwichtig. Denn wichtig sei nur, dass ich den Kater damit nicht finanzieren könne.

Nun kenne ich meine Tante natürlich. Weiß, wie sie denkt. Wenn sie sagt: "Dann kannst dir den Kater aber nicht mehr leisten" heißt das soviel wie: "Na, wenn das mal nicht nach hinten losgeht und du arm und arbeitslos auf der Straße enden wirst." Oder sinngemäß auch: "Wenn ich was zu sagen hätte, würdest du das nicht machen!"
Gut, dass meine Tante nichts direkt zu sagen hat. Ihre Verabschiedung mit den Worten: "Wir reden nochmal miteinander", nahm ich als offizielle Drohung auf. Sie hatte sich wegen der Anwesenheit der Gäste in Zaum gehalten, hatte ruhig und konsequent gesagt, dass sie es für ein Risiko halte. Wenn wir allein gewesen wären, hätte sie Klartext gesprochen: "Mach was du willst, aber wenn du damit auf die Schnauze fällst, dann sieh zu wie du damit klarkommst!"
Zum Vergleich. Als ich in den Öffentlichen Dienst ging, gab es eine Jippieyeah-Feier für mich und meinen zukünftigen Werdegang.

Nun hängt meine Zukunft natürlich nicht vom Wohlwollen meiner Tante ab, Gott bewahre! Aber es tut natürlich immer gut, wenn man die Familie geschlossen hinter seinen Entscheidungen weiß. Meine Tante ist dagegen und sie wird es bleiben, denn sie gehört noch zu dieser Generation Menschen, die unflexibel und starr ihre Meinung niemals mehr ändern, haben sie erst einmal eine gefasst. Studium = ganz großer Blödsinn, bleibt im Kopf verankert, das weiß ich jetzt schon.
Vielleicht kann ich wenigstens irgendwann meinen Enkeln auf dem Sterbebett erzählen, dass ich damals meine Tante in die flexible Wirklichkeit geschubst habe. Oder ich gebe ihr den aktuellen Spiegel-Titel zu lesen - sozusagen als Schocktherapie...

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