Austreten
„Na toll!“, stöhnte er in die Runde und kratzte sich am Kopf. Er hörte die Atemgeräusche der ande-ren um sich herum. Dann ließ er seinen Kopf nach hinten in das Kissen fallen.
„Das geht bestimmt gleich wieder an“, sagte sie links von ihm mit ruhiger Stimme. „Ist doch im-mer so.“
„Bestimmt ist Zuhause jetzt der PC abgestürzt. Der Film wird nie fertig, wenn das ständig pas-siert“, motzte der andere in die Dunkelheit und seufzte laut auf.
„Du tust gerade so, als würde dir ständig der Computer abstürzen, nur wegen so einem Scheiß hier“, mahnte seine Freundin an und suchte seine Schulter, um sich anzulehnen.
„Ja, ist doch so!“
„Quatsch! Nur, weil der immer abschmirrt, ist das noch lange nicht immer wegen dem Strom. Der ist einfach zu alt, um 24 Stunden am Tag zu laufen und zu laden.“
„Ist doch jetzt eh illegal“, bemerkte der Erste trocken und räusperte sich.
„Ist nur illegal, wenn du dich erwischen lässt“, lachte der andere und der eine stimmte ein. Ge-meinsam konnten sie die bösen Blicke ihrer Freundinnen auf ihren Gesichtern spüren.
„Will noch jemand Wein?“, fragte er.
„Ich nehm noch einen Schluck“, meinte die Freundin des anderen.
„Wehe, du tropfst den Teppich voll!“, ermahnte ihn seine Freundin mit einem Stoß in die Seite.
„Wenn du mich weiter so schubst, geht bestimmt was daneben! Komm, gib mal dein Glas!“
„Pass bloß auf, du!“
Mit beiden Händen tastete er nach dem Glas der Freundin seines besten Freundes und suchte in der Dunkelheit die Weinfalsche auf dem Couchtisch. Als er sich sicher war, den Hals in die Glasöff-nung und nicht auf den Teppich, den er nicht ausstehen konnte, zu halten, ließ er eine Sekunde lang Flüssigkeit hineinlaufen.
„So, bitte“, sagte er dann und reichte das Glas zurück in die Mitte ihrer Gruppe. Obwohl er die Finger der Freundin an seinen spüren konnte, fragte er sicherheitshalber: „Hast du’s?“
„Ja, kannst loslassen“, antwortete diese und nahm einen Schluck.
„Wollen wir nicht mal die Rollos hoch machen, dann kommt vielleicht Licht von der Straße her-ein“, schlug der andere vor.
„Versuchen können wir’s“, sagte daraufhin die Freundin und tastete sich an den Möbeln entlang zum Fenster. „Hat mal jemand ein Feuerzeug? Ich sehe hier gar nichts!“
Aber keiner hatte eines.
Sie schaffte es auch so, den Riemen der Rollladen in der Finsternis zu finden und diese damit wieder aufzuziehen. Die Stadt lag dunkel und bedrohlich unter ihr. In einem Fenster schräg gegen-über flackerte golden Kerzenlicht. Eine dicke Frau stand am Fenster und schien nur darauf gewartet zu haben, dass jemand an sein Fenster trat und in ihres zu schauen. Mit einem Ruck riss sie die Vorhänge zu. Ihre Silhouette verschwand in den Tiefen des flackernden Raumes. Ansonsten waren alle Fenster, die einzusehen waren, stockfinster. Einzig der Mond hing voll und blass in einer Ecke im Himmel und zeichnete Wolkenschatten in die Schwärze. Ihr Blick wanderte über die einzelnen Dä-cher und dann suchte sie die Klüfte der Hauptstraßen. Auch dort hingen die Laternen träge über dem Asphalt und strahlten endlose Dunkelheit hinaus. Sie kniff die Augen zusammen und erkannte eine Gestalt, die rasch auf die andere Straßenseite wechselte. Auf der nassen Fahrbahn hatte sich Herbstlaub festgestampft.
„Alles dunkel draußen“, stellte sie müde fest. Der Mondschein half ihr, zurück zur Gruppe zu fin-den ohne irgendwo anzuecken.
Das Gesicht ihres Freundes schaute sie so blass und trunken an, wie das des Mondes. Sein Kopf hing in einem der Kissen hinter ihm und mit großen Augen schaute er ihr zu, wie sie über seine Bei-ne und die der anderen hinwegstieg. Kurz blieb sein Blick auf ihrem vollen Hintern haften, bevor er sich seinem Weinglas widmete. Er schien nachdenklich.
„Holen wir Kerzen?“, fragte die Freundin seines besten Freundes in die Runde.
„Ich glaub, wir haben noch ein paar in der Küche“, stellte seine Freundin fest. Als sich keiner reg-te, um sich dorthin zu begeben, stemmte sie sich selbst auf. „Kommst du mit, Caro?“
Caro stand auf und beide verschwanden in der Küche.
„Das geht einem so auf die Nerven, wenn der Strom plötzlich weg ist“, nörgelte der beste Freund und trank seinen Wein leer. „Müssen wir später wieder die Uhr stellen. Die Caro hat doch so eine komische, wo man nur mit seinem kleinen Finger reinkommt, um den Schalter zu bewegen.“
„Macht Caro das nicht selbst?“, fragte der Gastgeber seinen besten Freund.
„Doch, klar“, meinte dieser. „Ich komm doch gar nicht mit meinen dicken Dingern in die Öffnung“ Beide lachten laut auf. „Aber wer darf die anderen Uhren alle stellen? Sobald eine Uhr gestellt wer-den muss und mehr als einen Drehknopf und zwei Schalter hat, läuft die doch weg.“
„Lästerst du schon wieder über mich?“, fragte Caro kleinlaut, als sie mit der Freundin des Gast-gebers aus der Küche kam. „Sollst du doch nicht machen“, tadelte sie mit einem schelmischen Grin-sen im Gesicht und setzte sich wieder neben ihn.
„Hab ich nicht, Schatz“, gurrte er treuherzig und gab ihr einen Kuss.
„Wohl“, grinste sein bester Freund und fing sich einen Stoß seiner Freundin ein. Dann zündete jeder von ihnen eine Kerze an und stellte sie auf den Couchtisch in der Mitte.
„Wie in der Kirche“, murmelte Caro mit lachendem Gesicht.
„Ich bin ausgetreten“, sagte ihr Freund.
„Hannes auch“, meinte die Freundin seines besten Freundes dazu.
„Danke, dass ich selber sagen darf, dass ich ausgetreten bin, Maus“, nörgelte Hannes und ver-schränkte die Arme.
„Entschuldige, dass ich dir deine Meinungsäußerung weggegriffen habe“, zickte Hannes’ Freun-din ihn an. „Hannes“, flötete sie überdreht, „bist du auch ausgetreten?“
„Blöde Kuh“, sagte Hannes nur und stand auf. Ohne ein weiteres Wort war er verschwunden.
„Man kann sich auch anstellen“, rief seine Freundin ihm hinterher.
„Aber echt!“, setzte Caro hinzu. „Hat der seine Tage?“
Die Frauen lachten, der übriggebliebene Mann nicht. Er schaute in sein Weinglas und dachte an den festen Hintern von Hannes’ Freundin. Dann dachte er daran, ob wohl die Datei noch komplett heruntergeladen wurde, bevor der Strom ausfiel. Wahrscheinlich nicht, vermutete er.
„Und was machen wir jetzt?“, fragte Caro, nachdem sie und Hannes’ Freundin sich wieder einge-kriegt hatten.
„Warten, bis der Strom wieder da ist“, meinte ihr Freund trocken und stand auf. „Ich muss mal pissen“, sagte er und verschwand im Flur.
„Nimm dir doch ne Kerze mit, sonst siehst du nichts“, rief Hannes’ Freundin ihm hinterher.
„Stimmt“, kam es brummend aus dem Flur. Hannes’ bester Freund kam zurück in das Wohnzim-mer getrottet und klaubte sich eine Kerze vom Tisch. Dann verschwand er wieder im Flur. Kurz dar-auf hörte man eine Tür.
Die beiden Freundinnen blieben schweigend vor den Kerzen sitzen und rollten ihre Weingläser in den Händen.

Als die Tür zur Seite schwang, blies der Zug fast die auf dem Waschbecken stehende Kerze aus. Wachs war an ihren Seiten heruntergeflossen und hatte sich auf der Keramik niedergelassen. Der Spiegel reflektierte den sanften Schein auf die gegenüberliegende Wand. In der Dusche kroch ein schwarzes Schattenmonster an der Wand empor, schlängelte sich in einem langgestreckten Körper über die Shampooflaschen und die blaue Glasbehausung der Duschperlen, ehe es in einem dicken Kopf mit Noppenvorsätzen endete und die beiden Freunde anstarrte.
Hannes saß auf dem zugeklappten Klodeckel und hielt seine Hände vors Gesicht. Sein bester Freund stand in der offenen Tür und wollte bereits mit den Worten: „Entschuldige, ich hab nicht ge-wusst, dass das Klo besetzt ist“ den Rückzug antreten.
„Bleib“, bat Hannes ohne aufzuschauen.
Sein Freund schloss die Tür hinter sich und stellte seine Kerze neben die von Hannes auf das Waschbecken. „Deine ist viel größer als meine“, witzelte er dazu, verstummte aber gleich wieder, als er merkte, dass seinem besten Freund nicht zu Scherzen zumute war. „Was hast du denn? Ist doch nicht normal, dass du und deine Liebste euch so anzicken.“
Hannes lachte kurz auf. „Hast du eine Ahnung!“, meinte er. „Seit Wochen geht das so. Sie sagt etwas, das ich falsch auffasse, dann meckere ich herum und irgendwann ist das Maß so voll, dass keiner von uns beiden mehr Bock auf den anderen hat. Anders herum ist es aber nicht anders! Wir reden seit etlicher Zeit aneinander vorbei. Es ist, als hätten wir verlernt, den anderen zu verstehen und so hinzunehmen, wie er ist. Manchmal schaue ich sie an und überlege, ob ich sie schon immer so gesehen habe, oder ob sich meine Wahrnehmung von ihr verändert hat. Sehe ich sie immer noch als den Menschen, den ich vor zwei Jahren lieben gelernt habe? In den letzten Wochen bin ich mir da nicht mehr so sicher.“ Hannes ließ sich einen leisen Seufzer entlocken. „Läuft Kacke im Mo-ment“, fasste er die Krise zusammen. „Seit diese eine Sache passiert ist, geht nichts mehr…“

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