Hendrikje, vorübergehend erschossen
Hendrikje, eine junge Frau aus Hamburg, Malerin und Kellnerin in einem Café unter Führung einer "Goebbels", hat ein Problem. Sie muss einer ihr unsympathischen Therapeutin erklären, weshalb sie dort sitzt und über eine vorzeitige Aussetzung ihrer Haftstrafe zur Bewährung entschieden werden soll.
Hendrikje wurde verurteilt, "wegen Totschlags in einem minderschwerem Fall [...], wegen eines so genannten provozierten Totschlags." Sie ist jedoch der Meinung, sie habe "streng genommen sogar zwei" getötet, aber "das lässt sich so genau nicht sagen."

Hendrikje wohnt bei ihrer Großmutter, "immer schon." Sie malt Bilder und arbeitet im Café und als sie eine Ausstellung bei einem Galeristen erhält, scheint alles perfekt. Dumm nur, dass das Atelier mit den Bildern abbrennt, ihr Liebhaber Ernst, der "Wert darauf legte, nicht mein Freund zu sein, also eher mein Nicht-Freund", zu einer anderen geht, die Omi stirbt und die Arbeit unter Goebbels sowieso stinkt. Also beschließt Hendrikje, dass sie sterben möchte und das im Kreise ihrer Freunde, die schnell behilflich sein wollen. Ernst soll die Wohnung bekommen, es wird alles geregelt, auch weil die Juristin Lisa bemerkt, "ein juristisch einwandfreier Abschiedsbrief ist ganz wichtig!"

Alles läuft schief. Statt Hendrikje stirbt ein anderer. Ernst, erbost und eingeschüchtert, die Überlebende könnte zur Polizei gehen und schlimmer noch, ihm die Wohnung wieder wegnehmen, bringt Hendrikje an ihre Grenzen und letztlich die zweite Person ins Grab. Halt findet Hendrikje ausgerechnet bei den Personen, die sie vorher nie als solche wahrgenommen hat.

Wer Tommy Jauds "Vollidiot" genossen hat und den Stil von Sven Regener in "Herr Lehmann" nicht zu anstrengend findet, wird hier mit einem starken Kompromiss aus beidem belohnt. Ulrike Purschke hat ein witziges und gleichzeitig leicht melancholisch anmutendes Buch geschrieben, das nicht nur über allzu viele Stolpersteine im Leben erzählt, sondern auch einige Lektionen für die Liebe und den Umgang mit Menschen bereithält. Ein Buch, das man innerhalb weniger Tage problemlos runterlesen kann, wenn einen nicht die gelegentlichen Lachattacken stoppen würden.
An so manchen Stellen empfindet man Mitleid mit Hendrikje, an genauso vielen anderen regt man sich darüber auf, wie naiv ein Mensch doch sein kann. Hendrikje macht immerzu den Eindruck eines Kindes, das die Welt nicht ganz verstanden hat. Am Ende wird einem aber klar, dass sie genau weiß, wie es läuft.

Nicht zuletzt durch die Kolumnen des Sugar Brown, den selbst die Therapeutin "unheimlich geistreich und witzig" und noch dazu "auch sehr klug" findet und der Hendrikje mehr als alle anderen durch ihr Leben leitet.

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cosmomente, Samstag, 21. April 2007, 16:49
Schöne Rezension..Ich mochte zwar den Herrn Lehmann nicht, aber auf das Buch hab ich jetzt trotzdem Lust bekommen :-))

nyxon, Sonntag, 22. April 2007, 15:06
Das freut mich! Ja, der Herr Lehmann ist so eine Sache. Entweder man kommt mit dem Stil von Regener klar oder nicht. Ich fands cool, kann aber verstehen, dass das nicht jedermanns Sache ist.

Bei Purschke musst du dich auch nicht auf ellenlange Sätze gefasst machen, aber auf genauso viel Wortwitz :)