Sonntag, 9. März 2008
Judith Liere - Probezeit
Cobra ist 27 Jahre und ihr "Studium ist seit genau drei Monaten und zwölf Tagen vorbei - das war jedenfalls der Tag, an dem ich mein Semesterticket und den Studentenausweis abgenommen bekam". Sie wohnt in einer Vierer-WG, hinter deren Schuhschrank sich mittlerweile die zerknüllten Absagen stapeln, die Cobra auf ihre Bewerbungen erhalten hat. Kurz bevor sie darüber nachdenkt, mit ihrer besten Freundin in Australien eine Strandbar zu betreiben, trudelt eine Chance im Briefkasten ein: bezahltes Praktikum bei einem Lokalsender mit Aussicht auf ein Volontariat. Wohlwissend, dass das noch lange nicht die ersehnte Festanstellung ist, nimmt Cobra das Angebot an und findet sich kurz darauf in einer Art Wettbewerb wieder. 20 Praktikanten und nur einer erhält nach dem Praktikum den Volontärplatz. "Ob auch jede Woche jemand rausgewählt wird? Oder steht der Personalheini jeden Freitag vor uns und ruft die auf, die noch dabei sind: "Möchtest du diese Rose?"

Neben dem aufreibenden Praktikum, das Vollzeitarbeit mit mieser Bezahlung, Konkurrenzverhalten unter den Praktikanten, Fettnäpfchen und Bauchkribbeln beim Personalchef beinhaltet, bleibt wenig Zeit fürs Private, auch wenn es immer wieder Ausflüge in diesen Teil der Probezeit gibt. Unter anderem mit einem Handyfoto von einem Genital: "Wem um alles in der Welt gehört dieser Penis?" - "Das wisst ihr nicht mehr? Dabei hatten wir so viel Spaß damit!", wild umherknutschenden Mitbewohnerinnen und mindestens drei Männern, bei denen die Gefühle unklar sind. Die Botschaft einsamer Herzen zieht sich durch den gesamten Roman als roten Faden, zum Beispiel in Gedanken an den Mitbewohner, der "hatte für seine Playstation "Singstar" gekauft, [und ich habe] mit mir selbst mit verstellter Stimme im Duett "I got you babe" gesungen. Das war ziemlich trostlos."

So schnell habe ich schon lange kein Buch mehr durchgelesen. Das liegt hier eindeutig an zwei Umständen. Zum einen schreibe ich über den Roman noch eine verkürzte Rezension für die Studierendenzeitung (Redaktionsschluss lässt grüßen!) und zum anderen war dies die leichteste Kost seit langem (da ich an die studentischen Leser der Fachhochschule denken musste beim Kauf). Judith Lieres "Probezeit" lässt sich genüsslich einfach weglesen - streckenweise amüsant und studentisch nachvollziehbar (zum Beispiel beim morgendlichen Partyabendrekonstruieren), aber großteils eben auch ohne Höhen und Tiefen. Wer sanfte Unterhaltung für Bahnfahrten sucht und sich ein wenig an seine Praktikantenzeit erinnert fühlen möchte, dem sei dieser Roman empfohlen. Wer literarische Kunst mit Tiefgang und Anspruch bevorzugt, der greift bitter daneben. Liere schrieb lange Zeit für den Unispiegel Kolumnen, und Kolumnisten sieht man meist ihren Ursprung an, liest man Romane von ihnen. Dass dieser nicht aus einzelnen Kolumnen zusammengesetzt ist, wie es bei Till Raethers "Das Leben ist nur eine Phase" der Fall war, ist ein eindeutiger Pluspunkt.

Verstehen Sie mich nicht falsch, "Probezeit" ist kein schlechtes Buch, da gäbe es tausend schlimmere Beispiele, es ist gut - pointiert und sprachlich hübsch verpackt -, aber es ist leider nicht gut genug! Wiederfinden kann sich ein jeder an jener Stelle, an der Cobra nachts ein Taxi nach Hause nimmt und der Fahrer fragt, ob es ein anstrengender Abend war. "Ich habe ein anstrengendes Leben", korrigiert sie ihn und Judith Liere fasst (vielleicht unbewusst) eine der wahrsten Wahrheiten des Lebens zusammen.

Bildquelle: www.piper-verlag.de

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Samstag, 18. August 2007
Das Leben ist nur eine Phase
Ein Mann bekommt einen Rappel. "Eines Tages wollte ich mein Leben ändern. Alle wollen das." Doch er will es auch schaffen. Also nimmt er sich Urlaub (eine ganze Woche) und in dieser Zeit alles zu erledigen, wozu er sonst nicht kommt. Die Tage ziehen vorbei und er räumt auf. Seine Frau geht ihm aus dem Weg, nachdem sie seine Lebensliste entdeckt. Da "Kinder haben" erst an vierter Stelle nach "Nach Japan reisen; ein Drehbuch schreiben und Bass spielen lernen" steht. Und dann sieht weder er noch der Leser die Frau über eine ganze Länge des Buches. Zwischendurch trifft er sich mit Freunden, tut so, als sei er ein ganz anderer, läuft seiner Frau barfuß im Regen nach, um das Gespräch mit ihr zu suchen und bleibt bis zum Schluss ein egozentrischer Urlauber, der viel mehr Spaß auf Mallorca hätte haben können.

Es fällt schwer, sich an Highlights im Buch zu erinnern und aus schlauen und denkwürdigen Sätzen zu zitieren, denn es gibt sie nicht. Das Buch fließt, ja plätschert geradezu dahin, ohne dass etwas hängen bleibt. An einer Stelle musste ich schmunzeln. Der Protagonist geht auf ein Konzert eines alten Schulfreundes und möchte ihm gratulieren. "Ich breitete die Arme aus, um in Körpersprache so etwas wie ein anerkennendes "Mein lieber Herr Gesangsverein!" auszudrücken, dann fing ich an, die Arme wieder einzufahren, wobei ich immer noch auf Marius zuging. [...] Es war deutlich, dass wir uns nicht umarmen wollten, aber dies zu verhindern, hätte bedeutet, einen Schritt zurückzutreten und die Arme woandershin zu tun [...] Marius und ich umarmten uns." Sie sehen: das ist nicht lustig. Ich konnte schmunzeln, weil es mir auch einmal geschehen ist, ansonsten blieb ich auf dem Stuhl.

Herrn Raether kennen die Frauen vielleicht aus der "Brigitte", dort schreibt er eine Kolumne. Im Nachwort gibt er zu, dass "die Gedanken und Erlebnisse unseres Helden [...] zum Teil auf Kolumnen, die ich für die Zeitschrift Brigitte geschrieben habe [beruhen]". Das merkt man, denn die Gedanken und Erlebnisse des Helden wirken wie ein zusammengeschustertes Gestrüpp. An keiner Stelle kommt Euphorie oder auch nur eine kurze Beschleunigung des Pulses auf, was einen aus dem ungriffigen Lesetrott herausreißen könnte.
Nachdem das Buch weggelegt ist, bleibt nichts übrig. Kein Aha-Effekt, keine Erleuchtung, dass das Leben nur eine Phase sein könnte. Raether gibt in lästigen Lebensepisoden wieder, was jeder von uns bereits wissen sollte: Nicht wir verändern unser Leben, sondern unser Leben verändert uns.

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Dienstag, 3. Juli 2007
Das normale Leben
Ich musste Frau Bluetenstaub damals um etwas Geduld bitten, aber nun ist es vollbracht. Dass es längere Zeit in Anspruch genommen hat, liegt nicht am Buch, sondern am einfachen Umstand, dass ich gerne abends im Bett meine Bücher lese und zu mancher Zeit totmüde war. Soweit die Entschuldigung, weshalb es mit diesem Buch so lange gedauert hat. Noch dazu ist es keine leichte Kost, zu schwer liegen die kleinen Wahrheiten im Magen.

"Das normale Leben" von Dieter Wellershoff ist eine Bibel, bestehend aus zehn eigenständigen Erzählungen. Die Bibel für die Menschen unter uns, die wissen, dass die Erfindung Liebe nie einfach und nicht immer konsequent ist. Wellershoff Charaktere zeichnen ein Bild der "Kontextenthobenheit - was für ein hochtrabendes, abstraktes Wort für Alleinsein, Einsamkeit, Isolation" (Episode), auch wenn sie gar nicht allein sind. Die Erzählungen, angeordnet in der chronologischen Reihenfolge ihres Erscheinungsjahres, aber bestimmt nicht nur zufälligerweise ebenso in chronologischer Reihenfolge einer Liebesgeschichte, zeigen sehr viel Weisheit und Erfahrung in Sachen Liebe, Beziehung und Schmerz. "Kleine Schmerzen sind ein Existenzbeweis" stellt einer der Charaktere ziemlich am Ende fest (Der Rückzug). Zuvor begleiten wir eine Studentin durch ihre Affäre mit einem älteren, verheirateten Mann (Graffito), ein Paar in die Oper (In der Oper) oder auf ein Fest des Golfclubs (Das Sommerfest). Der Protagonist in der titelgebenden Erzählung "Das normale Leben" scheint am kontextenthobensten zu sein, auf den ersten Blick. Seltsam, dass gerade diese Geschichte mich am wenigsten überzeugt hat.

Das Leben miteinander wird in diesem Buch oft wie eine Verpflichtung, wie ein Fluch dargestellt, zuletzt auch wie "ein lästiger Zwang, dem man unversehens nachgab, so wie man unwillkürlich mit der Zungenspitze immer wieder über eine wunde Stelle im Zahnfleisch fährt." (Das Sommerfest)
Sei es in der Zeit des Wartens, in der die Gefühle zum anderen noch unklar sind oder mitten im Leben. Oft wirken die Paare, die im Zenit ihrer Liebe stehen geradezu lethargisch. Der Höhepunkt der Liebe geht bei Wellershoff einher mit dem Tiefpunkt des Lebens. Einer seiner Charaktere spürt, "wie Lustlosigkeit ihn anwehte. Das graue Einerlei, das seit Jahren die Hintergrundfarbe seines Lebens war. Nein, er haderte nicht damit. Das graue Einerlei war keine bedrohliche Szenerie, eher die Farbe der Alltäglichkeit und des Gleichmuts und ja, eher gewissen Trägheit, die für ihn typisch war." (Episode) Auch in diesen Momenten, in denen man Wellershoff unterstellen mag, er sei ein elender Pessimist und Misanthrop lässt er seinen Charakteren nie die Hoffnung verlieren. Er gibt den Menschen "eine [...] reservierte Leerstelle" in ihren Köpfen für die geliebten und herbeigeträumten anderen "in der sie [...] zu einem abstrakten Symbol der unendlichen Möglichkeiten" werden können, "die das Leben bereithält und in der Regel verbarg." (Das normale Leben)

"Das normale Leben" aus der Sicht Wellerhoffs zeichnet sich durch die unendliche Suche nach Liebe und Geborgenheit, aber auch durch Herzschmerz und Verrat aus. Nie lässt er seine Schöpfungen zur Ruhe kommen, geschweige denn das Glück finden. Es ist ein steter Kampf, den Mann und Frau gegeneinander und auch miteinander ausfechten. Kämpft der Mann um seines, kämpft auch die Frau "um ihr Leben, denn es hängt mit seinem zusammen" (Das weiße Handtuch) und anders herum.
Sämtliche Erzählungen haben einen tieftraurigen, depressiven Unterton, denn keiner kommt hier auf seine Kosten. Kurzweiliger Spaß lernen sie nur durch Affären und Betrug kennen, die Liebe zwischen Mann und Frau wird mit einer langsam fortschreitenden Krankheit gleichgesetzt. Gleichwohl lässt Wellershof Platz für kleine Hoffnungsschimmer. Er zeigt Momentaufnahmen des Lebens, nie die ganze Episode. Wie sich Lug, Trug und Schmerz auswirken, wird höchstens angedeutet und lässt genügend Spielraum, um auch den Optimisten unter den Liebenden eine Chance zu geben.
Die Grundaussage aber ist klar: "Alles funktionierte. Alles war wie immer. [...] Draußen dann die Stadt, die Lichterreklame, der Verkehr. Und Schweigen. Wie ein Urteil, das vollstreckt wurde." (In der Oper)

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Samstag, 21. April 2007
Hendrikje, vorübergehend erschossen
Hendrikje, eine junge Frau aus Hamburg, Malerin und Kellnerin in einem Café unter Führung einer "Goebbels", hat ein Problem. Sie muss einer ihr unsympathischen Therapeutin erklären, weshalb sie dort sitzt und über eine vorzeitige Aussetzung ihrer Haftstrafe zur Bewährung entschieden werden soll.
Hendrikje wurde verurteilt, "wegen Totschlags in einem minderschwerem Fall [...], wegen eines so genannten provozierten Totschlags." Sie ist jedoch der Meinung, sie habe "streng genommen sogar zwei" getötet, aber "das lässt sich so genau nicht sagen."

Hendrikje wohnt bei ihrer Großmutter, "immer schon." Sie malt Bilder und arbeitet im Café und als sie eine Ausstellung bei einem Galeristen erhält, scheint alles perfekt. Dumm nur, dass das Atelier mit den Bildern abbrennt, ihr Liebhaber Ernst, der "Wert darauf legte, nicht mein Freund zu sein, also eher mein Nicht-Freund", zu einer anderen geht, die Omi stirbt und die Arbeit unter Goebbels sowieso stinkt. Also beschließt Hendrikje, dass sie sterben möchte und das im Kreise ihrer Freunde, die schnell behilflich sein wollen. Ernst soll die Wohnung bekommen, es wird alles geregelt, auch weil die Juristin Lisa bemerkt, "ein juristisch einwandfreier Abschiedsbrief ist ganz wichtig!"

Alles läuft schief. Statt Hendrikje stirbt ein anderer. Ernst, erbost und eingeschüchtert, die Überlebende könnte zur Polizei gehen und schlimmer noch, ihm die Wohnung wieder wegnehmen, bringt Hendrikje an ihre Grenzen und letztlich die zweite Person ins Grab. Halt findet Hendrikje ausgerechnet bei den Personen, die sie vorher nie als solche wahrgenommen hat.

Wer Tommy Jauds "Vollidiot" genossen hat und den Stil von Sven Regener in "Herr Lehmann" nicht zu anstrengend findet, wird hier mit einem starken Kompromiss aus beidem belohnt. Ulrike Purschke hat ein witziges und gleichzeitig leicht melancholisch anmutendes Buch geschrieben, das nicht nur über allzu viele Stolpersteine im Leben erzählt, sondern auch einige Lektionen für die Liebe und den Umgang mit Menschen bereithält. Ein Buch, das man innerhalb weniger Tage problemlos runterlesen kann, wenn einen nicht die gelegentlichen Lachattacken stoppen würden.
An so manchen Stellen empfindet man Mitleid mit Hendrikje, an genauso vielen anderen regt man sich darüber auf, wie naiv ein Mensch doch sein kann. Hendrikje macht immerzu den Eindruck eines Kindes, das die Welt nicht ganz verstanden hat. Am Ende wird einem aber klar, dass sie genau weiß, wie es läuft.

Nicht zuletzt durch die Kolumnen des Sugar Brown, den selbst die Therapeutin "unheimlich geistreich und witzig" und noch dazu "auch sehr klug" findet und der Hendrikje mehr als alle anderen durch ihr Leben leitet.

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