Judith Liere - Probezeit
Cobra ist 27 Jahre und ihr "Studium ist seit genau drei Monaten und zwölf Tagen vorbei - das war jedenfalls der Tag, an dem ich mein Semesterticket und den Studentenausweis abgenommen bekam". Sie wohnt in einer Vierer-WG, hinter deren Schuhschrank sich mittlerweile die zerknüllten Absagen stapeln, die Cobra auf ihre Bewerbungen erhalten hat. Kurz bevor sie darüber nachdenkt, mit ihrer besten Freundin in Australien eine Strandbar zu betreiben, trudelt eine Chance im Briefkasten ein: bezahltes Praktikum bei einem Lokalsender mit Aussicht auf ein Volontariat. Wohlwissend, dass das noch lange nicht die ersehnte Festanstellung ist, nimmt Cobra das Angebot an und findet sich kurz darauf in einer Art Wettbewerb wieder. 20 Praktikanten und nur einer erhält nach dem Praktikum den Volontärplatz. "Ob auch jede Woche jemand rausgewählt wird? Oder steht der Personalheini jeden Freitag vor uns und ruft die auf, die noch dabei sind: "Möchtest du diese Rose?"

Neben dem aufreibenden Praktikum, das Vollzeitarbeit mit mieser Bezahlung, Konkurrenzverhalten unter den Praktikanten, Fettnäpfchen und Bauchkribbeln beim Personalchef beinhaltet, bleibt wenig Zeit fürs Private, auch wenn es immer wieder Ausflüge in diesen Teil der Probezeit gibt. Unter anderem mit einem Handyfoto von einem Genital: "Wem um alles in der Welt gehört dieser Penis?" - "Das wisst ihr nicht mehr? Dabei hatten wir so viel Spaß damit!", wild umherknutschenden Mitbewohnerinnen und mindestens drei Männern, bei denen die Gefühle unklar sind. Die Botschaft einsamer Herzen zieht sich durch den gesamten Roman als roten Faden, zum Beispiel in Gedanken an den Mitbewohner, der "hatte für seine Playstation "Singstar" gekauft, [und ich habe] mit mir selbst mit verstellter Stimme im Duett "I got you babe" gesungen. Das war ziemlich trostlos."

So schnell habe ich schon lange kein Buch mehr durchgelesen. Das liegt hier eindeutig an zwei Umständen. Zum einen schreibe ich über den Roman noch eine verkürzte Rezension für die Studierendenzeitung (Redaktionsschluss lässt grüßen!) und zum anderen war dies die leichteste Kost seit langem (da ich an die studentischen Leser der Fachhochschule denken musste beim Kauf). Judith Lieres "Probezeit" lässt sich genüsslich einfach weglesen - streckenweise amüsant und studentisch nachvollziehbar (zum Beispiel beim morgendlichen Partyabendrekonstruieren), aber großteils eben auch ohne Höhen und Tiefen. Wer sanfte Unterhaltung für Bahnfahrten sucht und sich ein wenig an seine Praktikantenzeit erinnert fühlen möchte, dem sei dieser Roman empfohlen. Wer literarische Kunst mit Tiefgang und Anspruch bevorzugt, der greift bitter daneben. Liere schrieb lange Zeit für den Unispiegel Kolumnen, und Kolumnisten sieht man meist ihren Ursprung an, liest man Romane von ihnen. Dass dieser nicht aus einzelnen Kolumnen zusammengesetzt ist, wie es bei Till Raethers "Das Leben ist nur eine Phase" der Fall war, ist ein eindeutiger Pluspunkt.

Verstehen Sie mich nicht falsch, "Probezeit" ist kein schlechtes Buch, da gäbe es tausend schlimmere Beispiele, es ist gut - pointiert und sprachlich hübsch verpackt -, aber es ist leider nicht gut genug! Wiederfinden kann sich ein jeder an jener Stelle, an der Cobra nachts ein Taxi nach Hause nimmt und der Fahrer fragt, ob es ein anstrengender Abend war. "Ich habe ein anstrengendes Leben", korrigiert sie ihn und Judith Liere fasst (vielleicht unbewusst) eine der wahrsten Wahrheiten des Lebens zusammen.

Bildquelle: www.piper-verlag.de

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