Sonntag, 8. Juni 2008
B2
Und plötzlich war da der Hans. Lief so mir nichts dir nichts die Friedrichstraße entlang und ich fast mittenrein, als ich großstädtisch erhaben unaufmerksam um die Ecke bog. Hans Eichel (wer ihn nicht mehr kennt, dem sei hier geholfen) schaute mich verdutzt an, ich nuschelte ein "Hups" und dann war ich auch schon wieder weg. So schnell wie damals dem Hans seine Haushaltsplanungen. Der restliche Tag bestand aus einer Mischung aus Sideseeing, Lümmelcontest und WG-Tauglichkeitsgesprächen.

Das erste hatte ich direkt mal auffliegen lassen, da mir bereits die Gegend nicht sympathisch genug war. Ich bin schlechte Gegenden aus Dortmund und Gelsenkirchen gewohnt, aber was sich mir da rund um diesen Wohnbezirk (noch Kreuzberg, aber schon zuviel Neukölln wie mir schien) bot war erschreckend genau das, was ich nicht zwei Monate ertragen möchte. Also kurzerhand abgesagt und mich stattdessen an die Spree gepackt. Mit Sonnenbrille und einer Wasserflasche bewaffnet, lümmelte ich also so herum. Ging ein paar Schritte bis zur nächsten Grünfläche - und lümmelte erneut. Ich lümmelte gegenüber der Museumsinsel, ich lümmelte auf der Wiese am Berliner Dom. Ich lümmelte direkt am Alex. Zwischendurch fuhr ich dann Bus und Bahn. Ohne bestimmte Ziele, einfach mal nur einsteigen und schauen, was es alles so gibt. Einmal im Kreis (Ringbahn), einmal kreuz und quer (Westkreuz bis Ostkreuz) und quer und kreuz (Tempelhof bis irgendwo da im Norden, Wedding oder Prenzlauer Berg die Gegend). Ach, bei der Preußischen Akademie der Wissenschaften lümmelte ich zwischendurch übrigens auch noch, fällt mir gerade ein.

Immer wieder muss ich bei all diesen Aktivitäten wohl furchtbar wissend und heimisch ausgesehen haben, da mich Touristen nach dem Weg nach XY fragten, ohne dass ich auch nur die Spur einer Ahnung gehabt habe. Zu mancher Zeit wäre es fürchterlich interessant gewesen, mal selber zu wissen, wo man war. Aus purer Orientierungslosigkeit machte ich Rast im Hostel. Dort erledigte ich den einen oder anderen Anruf, um mir auch morgen noch Zimmer anschauen zu können. Nebenbei zog ich mir einen bösen Blick der neuen Zimmerbewohnerin zu, als ich schmunzelnd ihren Kampf mit dem Spannbetttuch beobachtete (mit dem ich mich selbst den Abend zuvor abgequält hatte) und auf ihr Nachfragen ("Do you enjoy?") entgegnete: "It's quiet a show." Aber wenn man in der Sache vereint ist und seit dem Schullandheim kein Hochbett mehr frisieren musste, nimmt man so etwas nicht so ernst, wie mir scheint.

Was mich enorm überrascht, ist, dass man trotz der Berliner Ausmaße in relativ kurzer Zeit quer durch die Stadt kommt. Bei meinem letzten Aufenthalt hier hatte ich mir ja die Siebenmeilen-Businessschuhe verordnet und war entsprechend wenig bis gar nicht mit dem Öffentlichen Nahverkehr unterwegs. Dieses Mal, mit Tagesticket, nutzte ich bisweilen die Gelegenheit nicht alles abzulaufen. Viel per pedes unterwegs war ich ohnehin, da das Wetter zu genial ist, um es in S-, U-, oder Sraßenbahnen zu verbummeln. Aber Strecken von Alexanderplatz bis zum Beispiel Tiergarten sind doch um einiges leichter, wenn man einfach nur in die Zurücktretenbahnen einsteigt und sich kutschieren lässt.
Was mir auch noch aufgefallen ist - soviel, wie mir wirklich aufgefallen ist, konnte ich mir erstens gar nicht merken und zweitens auch nicht hier wiedergeben, davon mal ganz abgesehen - aber was mir so wirklich aufgefallen ist, sind die unterschiedlichen Berlins. Also die Jahreszeiten Berlins. Letztes Mal im Februar, im tiefsten deutschen Winter also, war Berlin eine nette Erfahrung und einen Blick wert. Das sommerliche Berlin aber ist grandios! Die ganze Hauptstadt ist auf den Beinen und aalt sich irgendwo. Es gibt offene Türen (Bundesrat und noch irgendein Regierungsdingens, hat mich aber diesmal so gar nicht interessiert), es gibt Strandcafés, Straßencafés und U-Bahntrassencafés (direkt mal eines für morgen zum Lunchen festgelegt) und es gibt Berliner Schnauzen. Ich liebe es.

Sexistisch: Press to enlarge your picture!

Meine Liebe geht soweit, dass ich sogar sozial engagiert war. In der S irgendeine Nummer (ich glaube es war einer der beiden Ringbahnen also entweder 41 oder 42) stellte sich ein Mann in die Mitte des Wagens und verkündete, dass sein Name Dieter sei und er aus persönlichen Gründen obdach- und arbeitslos sei. Er bekäme derzeit keine Unterstützung vom Amt und - jetzt kommt der Part, der mich weich machte - um Geld zu verdienen, habe er sich entschlossen die Obachlosenzeitung "Straßenfeger" an den Mann zu bringen. Er bedankte sich für die Aufmerksamkeit und ging mit den Zeitungen durch den Waggon. Kein Betteln a là "Bittebitte kooft doch" oder "Ick geh doch een, wenna nüscht kooft". Kurz angesagt, was Sache ist und dann warten, dass jemand freiwillig und freiherzig kauft. Habe ich getan. Seitdem ich letztes Jahr die Reportage über die Dortmunder Obachtlosenzeitung geschrieben habe, bin ich aufmerksam, wenn ich auf Menschen treffe, die sich damit über Wasser halten. Das brotlose Inderpack (entschuldigen Sie den harten Ausdruck, aber das war es einfach) auf der Spreebrücke, die versuchten mit dem bettelnden Kind Eindruck zu schinden ("Bittebitte, gebe Geld"), hatte ich zuvor auch ignoriert. Dem Dieter aber habe ich eine Zeitung abgekauft. Ich nehme an, dass es in Berlin wie in Dortmund läuft, was die Beteiligung angeht - sprich, die auf der Zeitung vermerkten 80 Cent als Anteil darf er ebenso behalten wie das, was die Käufer zusätzlich hinzugeben.

Abends am Spreeufer habe ich dann auch einige Artikel aus der Zeitung gelesen. Themenschwerpunkt war der Umgang mit der Zeit damals und heute. Beim Lesen dachte ich mir, dass ich es eigentlich bisher immer gut hingekommen habe, meine Zeit zu managen. Sei es jetzt bei wichtigen Terminen oder einfach nur in der Freizeitplanung. Hat mich gut gelaunt gestimmt, diese Tatsache.

...gerade stürzt Berlin ein...

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