Die Seelenfänger - Teil 2
Teil 1


Der erste Kontakt


Ich werde von einer Frau empfangen, die es wohl nicht so ernst nimmt mit ihrer Erscheinung, ein Mauerblümchen, verunsichert und bereits mit meinem Anliegen, mehr über Scientology erfahren zu wollen, sichtlich überfordert. Ich stelle ein paar unbedeutende Fragen, zu denen ich die Antwort bereits weiß. Sie werden knapper als im Netz beantwortet und ich fühle mich ein wenig alleingelassen von dieser Dame.
Mein Blick schweift durch die Räumlichkeiten. Alles hier ist sehr eng und wirkt bedrückend, die Wände sind zutapeziert mit bunten Tafeln und Postern, die alle die Lehre des Lafayette Ron Hubbard aufs Höchste preisen. Dieser Mann ist hier wahrlich der Messias, sein Konterfei strahlt von überall herab. Hinter einer Glaswand steht ein kleiner Tisch mit einem Schildchen darauf. „L. Ron Hubbard – Gründer“ steht darauf.

In jeder Ecke stehen mehr oder minder dicke Bücher, alle tragen sie seinen Namen und sind wie die Romane von Dan Brown gestaltet. Es wird ein Buch herausgesucht: „Was ist Scientology?“ Darin soll auf mehreren hundert Seiten alles beantwortet werden; ich sehe auf jeder dritten Seite ein Bild, das über eine Doppelseite geht und kurze Texte auf den übrigen. Würde man den Text herausnehmen, kämen vielleicht 30 Seiten in DIN A4 zusammen. „Das ist also so etwas wie die Bibel der Scientologen“, scherze ich und werde missmutig angeschaut. Das könne man gar nicht miteinander vergleichen, werde ich belehrt und gemeinsam blättern wir ein wenig durch das Bilderbuch. Ob ich vielleicht Infomaterial für Zuhause haben könnte, frage ich bescheiden.

Man drückt mir eine Broschüre in die Hand und weiß nichts mehr mit mir anzufangen. Scheinbar ist man es nicht gewohnt, dass einfach Leute von der Straße hereinkommen und „nach Antworten suchen“, wie es einen die Plakate prophezeien.
Dann kommt Hilfe herbeigeeilt. Plötzlich herrscht ein unsichtiges Wuseln in den Räumen. Mir wird eine Frau mittleren Alters vorgestellt. Während ich nur den Nachnamen meiner extra für diesen Zweck erdachten Scheinidentität nenne, stellt sich die Frau einzig mit ihrem Vornamen vor. Alle wollen wohl eine große Familie sein in diesen Räumen. Ich erkläre mein Anliegen, dass ich viel über Scientology gehört habe und mir einen eigenen Eindruck machen möchte. „Das ist gut, denn unsere Philosophie heißt auch, man solle nur an das glauben, was man selber gesehen hat“, erklärt mir der Vorname und bietet mir an, ich könnte mich anhand eines Films ein wenig aufklären lassen. Ich nehme bereitwillig an und während man den Film vorbereitet, werde ich über mein Leben befragt.

Befragt ist zuviel gesagt, man stellt mir ein paar belanglose Fragen, was ich beruflich täte und wie ich auf Scientology gekommen sei. Für diese Menschen hier bin ich in der Stadt wohnhaft und arbeite seit kurzem in der örtlichen Justizbehörde. Ich gebe mich als das aus, was ich früher einmal gerne geworden wäre, mir aber durch eine unüberbrückbare Einstellungsklausel versagt blieb: Rechtspfleger. Ich erzähle von meinem Arbeitskollegen, der mir während eines Trinkabends von der Kirche erzählt habe, dass eine Grundsatzdebatte mit anderen Anwesenden ausgebrochen sei und dass ich deswegen hier sei, um mir die Sache selber anzuschauen. Man lächelt gnädig und lobt mein Engagement, die Initiative zu ergreifen und nicht einfach das zu glauben, was erzählt wird.


[...wird fortgesetzt]

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wort-wahl, Freitag, 2. März 2007, 11:32
ich warte gespannt auf den nächsten teil.

bufflon, Freitag, 2. März 2007, 11:59
Ich bin auch gespannt.

nyxon, Freitag, 2. März 2007, 18:29
Es freut mich, dass ich anscheinend doch Interesse wecken konnte. Für Anfang nächster Woche habe ich den nächsten Teil angedacht.

p, Freitag, 2. März 2007, 21:12
andererseits geht nicht berücksichtigen auch.

nyxon, Freitag, 2. März 2007, 21:51
Sie meinen das nicht Berücksichtigen einer Veröffentlichungsplanung? Geht natürlich immer, doch ich möchte die einzelnen Berichtsteile nicht direkt hintereinander online stellen, da ich fürchte, dass sich vielleicht einige von der Masse erschlagen fühlen und dadurch Informationen untergehen könnten.

Aber es freut mich, dass einige dem Release so neugierig und ungeduldig entgegensehen. Da bei der Veröffentlichung des ersten Teils eine mehrheitliche Reaktion ausblieb, hatte ich schon die Befürchtung, dieses Thema wäre hier fehl am Platz.

p, Freitag, 2. März 2007, 21:56
achwas, ist schon in ordnung, ich ignoriere die idioten einfach.
vielleicht weil ich ihnen ständig begegne in der stadt...

nyxon, Freitag, 2. März 2007, 22:16
Achso, ich hatte Sie wohl falsch verstanden. Sie meinten, dass man Scientologen einfach nicht berücksichtigen sollte?! So habe ich es bisher auch immer gehalten und werde es auch in Zukunft tun - übrigens gilt das für sämtliche Kirchen und spirituelle Institutionen.

Ich habe mich damit auseinandergesetzt, da mein Interesse an der Organisation selbst geweckt wurde.

p, Freitag, 2. März 2007, 22:21
die organisation selbst ist ein reines profitunternehmen, so etwa wie die heuschrecken...

nyxon, Freitag, 2. März 2007, 22:24
Das habe ich auch recht schnell merken können. Sehr viel Fassade, die das eigentliche Geschäft verstecken soll.

Haben Sie Erste-Hand-Erfahrungen gemacht oder beziehen Sie sich auf die allgemeine Berichterstattung?

sanddorn, Freitag, 2. März 2007, 19:24
Oh je...

nyxon, Freitag, 2. März 2007, 19:47
So schlimm?

sanddorn, Freitag, 2. März 2007, 20:14
Weiß noch nicht. Mal abwarten... "Oh je" hab ich schon beim Lesen des ersten Textes gedacht.
Zugegebermaßen verspüre ich auch manchmal das Bedürfnis, mit den netten Herren oder Damen, die da vor meiner Tür versuchen Überzeugungsarbeit zu leisten, über Grundsatzfragen zu diskutieren. (Selbst hier in Schweden haben mich schon welche mit Watchtower-Heftchen besucht...) Aber eigentlich ist man doch froh, wenn man von denen verschont wird und du läufst auch noch freiwillig hin... So ganz hab ich noch nicht kapiert warum. Aber ich les einfach fleißig weiter mit - vielleicht verstehe ich's ja noch ;-)

nyxon, Freitag, 2. März 2007, 20:52
Um zu schauen, was von den vielen Gerüchten und Aussagen, die über Scientology im Umlauf sind, wirklich auch so umgesetzt wird. Ich war natürlich in meinen Mitteln begrenzt und kann deswegen keinen Tiefenbericht abliefern, aber diese Eindrücke, die ich dort bekommen habe, waren auch schon sehr informativ.

Es war Neugier und der Wunsch mich an einer Anfängerart des investigativen Journalismus zu versuchen, die mich dorthin getrieben hat.

c17h19no3, Freitag, 2. März 2007, 21:05
ähem, der wachtturm ist aber doch das zeugen-jehovas-blättchen?

spannendes projekt.
allerdings muss man eine sache bedenken: wenn man mal in die kirchengeschichte schaut und sich ketzerprozesse, akten und häretikerverurteilungen ansieht, fällt eins auf: wer im kampf um die orthodoxie, zunächst um die una sancta auf der strecke blieb, war oftmals nicht wirklich sehr viel anders oder schlechter als mutter kirche. worum es eigentlich immer geht, ist die wahrung des dogmas. man denke an das schisma ost- und westkirche 1054. an galileo. an jan hus. an meister eckart. thomas müntzer. die hexenverfolgungen. dogma verkraftet keine revolutionen. kleines problem an der sache: die kirche ist selbst nicht wirklich dogmatisch, weil das dogma ewig und die kirche aber in der zeit ihren historischen veränderungen unterworfen ist.
was ist also dogmatisch tragbar und darf sich kirche nennen? ist es eine frage von recht und gesetz oder doch eher von ermessen augenblicklich in einer historischen situation einflussreicher menschen? warum darf wer nicht selber dogma schreiben?
dass diese sekten nicht kirche sind, hat meiner ansicht eher etwas mit dem staat und seiner verfassung im punkt religionsfreiheit und desweiteren mit konfessionalität zu tun. wenn der staat fürchten muss, das sich eine sekte politisch involviert, wird ihm daran liegen, sie auszuschalten. wäre die scientology kirche, dürfte sie beispielsweise den religionsunterricht in den schulen mitbestimmen. der religionsunterricht leistet immer noch und gerade heutzutage wieder verstärt einen beitrag zur ethischen gesinnung. diese gesinnung kann staatstragend oder den staat ablehnend ausfallen. der staat darf sich, wenn er klug handelt, nicht selbst gefährden. dank der weitgehenden entmachtung der kirche kann der staat auch über die kirche die sekten ausschließend wirksam werden.

sanddorn, Freitag, 2. März 2007, 21:50
@ Nyxon: Ich bleib weiter skeptisch. Warum ausgerechnet dort den investigativen Journalismus ausprobieren? Nun ja. Ich wünsche dir aber weiter viel Spaß und großartige Erkenntnisse :)

(@ c17h19no3: Ich weiß, dass der Wachturmverein nicht dasselbe ist wie Scientology. Aber wäre der Herr Nyxon zu denen gelaufen (macht er wahrscheinlich aus Vergleichsgründen auch noch...), hätte ich genauso reagiert. Soll heißen: hier in diesem Zusammenhang sind die mir alle gleich suspekt, weshalb ich einfach an meine letzte Begegnung dieser Art denken musste - und das waren nun mal die Zeugen Jehovas. (Vertreter der Kirche habe ich übrigens genauso ungern vor der Tür.) )

nyxon, Freitag, 2. März 2007, 22:13
Ich wurde halt neugierig, als Scientology wieder groß in die Presse kam aufgrund der Nachhilfeangebote, die ja angeblich Rekrutierungsprogramme für neue Mitglieder beinhalten sollen, und der Neueröffnung der Berliner Depandance.
Dass ich zu Vergleichszwecken auch Jehovas Zeugen aufsuchen werde, möchte ich zwar nicht gänzlich ausschließen, aber hatte ich fürs Erste nicht in Erwägung gezogen.

Frau Morphin gebe ich im Großen und Ganzen Recht, der Staat bestimmt durch seine Gesetzgebung und Auffassung von Religion durchaus, was Kirche ist und wer sich als solches benennen darf. Scientology wird allerdings vom Verfassungsschutz beobachtet, was natürlich eine Legitimation als Kirche gänzlich ausschließt.
Was genau an dieser Organisation die freiheitlich, demokratische Ordnung gefährden soll, habe ich allerdings bis heute nicht wirklich verstanden, in meinen Augen gibt es da etliche Vereine und auch Parteien, die in viel höherem Maße diese Gefahr symbolisiert. Dass man - respektive ich - nicht versteht, wo die Gefahr liegt, heißt allerdings nicht, dass dort alles mit rechten Dingen zugeht. Scientology hat sicherlich gewisse Statuten und Ordnungen, die den Verdacht eines Verfassungsmissbrauchs widerspiegeln können. Einige Kratzer an der Oberfläche konnte ich bereits bei meinen Recherchen entdecken. An welchen Stellen ich Zweifel hatte, wird recht deutlich in den betroffenen Teilen, denke ich...
Die christlichen KIrchen haben sicherlich ein Monopol in Deutschland, was Religion angeht. Wenn man aber bedenkt, dass sehr lange Zeit nur der Katholizismus offizielle Kirche war und Protestanten verteufelt wurden, weil sie das System in Frage stellten, sieht man die Verbissenheit, die die kirchlichen Institutionen zu Tage legen, wenn es um die Verteidigung IHRER Werte geht.
Ich muss aber zugeben, dass ich persönlich mit jeglicher Religion nichts am Hut habe. Ich wurde evangelisch getauft, aber das ist nur der Eintrag auf dem Papier. Ich würde derzeit keiner Kirche, egal ob christlicher, islamistischer oder derart "Grauzonenkirchen" wie Scientology oder den Zeugen Jehovas, mein Vertrauen aussprechen.

sanddorn, Freitag, 2. März 2007, 22:30
Amen *g*

nyxon, Freitag, 2. März 2007, 22:33
:p

Ich hab auch erst beim Speichern gemerkt, wie lang und ausführlich dieses Statement am Ende doch geworden ist :)

marizzle, Samstag, 3. März 2007, 11:32
Hoffentlich bleibt das nur ein Projekt ^^

nyxon, Samstag, 3. März 2007, 11:55
Auf jeden Fall! So einen wie mich kann man nicht bekehren :)

marizzle, Samstag, 3. März 2007, 19:42
Hoffentlich! Es gab genug Leute, die das auch gesagt haben und dann in der Sekte hängen geblieben sind... die nerven einen so lange bis man Mitglied wird, ich würds also nich zu weit treiben ;)

nyxon, Sonntag, 4. März 2007, 00:50
So ganz indirekt bin ich Mitglied geworden... aber mit näheren Informationen greife ich einigen Teilen voraus, was ich nicht möchte, deswegen sag ich dazu nichts weiter...

Aber es muss sich keiner Sorgen machen, das Thema ist jetzt endgültig erledigt.